Forums-Blog - Trennung von Arbeit und Leben führt in die Irre
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  • 02.09.2013 18:25 - Trennung von Arbeit und Leben führt in die Irre
von andreas.eick in Kategorie Allgemein.

Das Gejammer über Burn-out ist nicht auszuhalten. Work-Life-Balance, die Trennung von Arbeit und Leben, ist "Bullshit". Arbeit gehört zum Leben. Das ist eine Tatsache, ob sie uns passt oder nicht. Von Thomas Vašek



Ich liebe meine Arbeit. Ohne sie könnte ich nicht leben. Oft stehe ich frühmorgens auf, um schon mal was wegzuschaffen. Und am liebsten arbeite ich an Wochenenden oder im Urlaub, da habe ich am meisten Zeit. Bin ich ein Workaholic, ein Karrierist, ein Süchtiger, womöglich am Rande des Burn-out? Nichts von alledem. Meine Arbeit ist mir wichtig, sie macht mir Spaß, sie füllt mich aus. Es geht mir auch ums Geld. Aber nicht in erster Linie. Vor allem liebe ich das, was ich tue.

Meine Arbeit fordert mich heraus. Sie erweitert meine Fähigkeiten, sie führt mich an meine Grenzen. Der Job bringt mich mit interessanten Menschen zusammen, die ich sonst nie kennenlernen würde. Meine Arbeit bildet mich, sie formt meinen Charakter, meine Persönlichkeit. Sie macht mich zu dem, der ich bin.

In meinem Leben hatte ich schon viele Jobs. Gut und schlecht bezahlte, erfüllende und sinnlose, leitende und untergeordnete, körperlich anstrengende wie intellektuell fordernde Jobs. Ich habe erlebt, wie es ist, monatelang auf Aufträge zu warten. Wie es ist, wenn plötzlich die EC-Karte gesperrt wird. Wenn man allein zu Hause sitzt und keine Anrufe kommen, keine Mail. Wenn man das Gefühl hat, für die Welt da draußen nicht mehr existent zu sein. Wenn man arbeiten will und nicht kann.

Heute bin ich Chefredakteur eines Philosophiemagazins – und könnte mir keinen schöneren und erfüllenderen Job vorstellen. Dabei arbeite ich mehr als je zuvor. Genau genommen tue ich gar nicht sehr viel anderes. Und doch fühle ich mich weder krank noch erschöpft, geschweige denn ausgebrannt. Ganz im Gegenteil. Meine Arbeit fühlt sich gut und richtig an, sie motiviert mich Tag für Tag, sie bringt mich voran.

Workaholics sind von gestern

Das Gejammer über die Zumutungen der Arbeit kann ich nicht mehr hören. "Work-Life-Balance", so lautet die Losung der Stunde. Schluss mit der Maloche, mit Arbeitswut und protestantischer Askese: Der Job ist nicht alles. Wir müssen das Leben vor der Arbeit retten, unsere Seelen vor dem Burn-out. So ist die Stimmungslage, der man sich kaum noch entziehen kann: Workaholics sind von gestern. Bloß nicht Arbeit und Freizeit vermischen. Gerne zeichnet man das Bild vom Hamsterrad, in das uns die Profitgier zwingt.

Unser Verhältnis zur Arbeit ist zutiefst paradox. Einerseits brauchen wir sie, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen und unseren Wohlstand zu sichern. Andererseits empfinden wir sie oft als Mühe und Last. In vielfacher Hinsicht war Arbeit noch nie so gut wie heute. Und doch scheint es uns, als wäre sie schlimmer und trostloser denn je.

Work-Life-Balance, die Trennung von Arbeit und Leben, ist "Bullshit" – eine leere Formel, die uns in die Irre führt. Dahinter steht die konfuse Vorstellung, dass "Arbeit" und "Leben" verschiedene Dinge wären. Das ist schon begrifflicher Unsinn: Arbeit gehört zum Leben. Das ist eine Tatsache, ob sie uns passt oder nicht. Ohne zu leben, könnten wir gar nicht arbeiten. Also kann es auch keine "Balance" geben, keinen Ausgleich zwischen Leben und Arbeit.

Genieße deine Arbeit!

Ein Leben, eine Welt ohne Arbeit ist nichts, was wir wünschen sollten. Es wäre eine langweilige Welt, reich an verfügbarer Zeit, doch arm an Herausforderungen. Mir graut vor einer Gesellschaft, in der die Menschen vor lauter Zeit nicht wissen, wo sie hinsollen mit ihrem Leben. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft von Müßiggängern leben, in der jeder nur das tut, wonach ihm der Sinn steht. Wer von einer Welt ohne Arbeit schwärmt, der muss erst einmal erklären, was die Menschen dann mit ihrer Zeit anfangen werden.

Es ist ein Irrtum zu denken, dass uns Freizeit glücklicher macht als die Arbeit. Freie Zeit ist kein Wert an sich. Wir machen sie zu einem Wert, indem wir sie sinnvoll nutzen. Richtig verstandene "Work-Life-Balance" hieße also nicht, einfach die Freizeit auszudehnen, sondern Arbeit wie Freizeit an unsere Bedürfnisse anzupassen. Wir brauchen Arbeit, die wir genießen können – und wir dürfen unsere Freizeit nicht vergeuden.

Die Freizeit- und Mußegesellschaft ist ein aristokratisches Ideal. Sie ist nicht das Ideal einer demokratischen Gesellschaft. Arbeit ist eng verbunden mit unserem Selbstverständnis. Wir identifizieren uns mit unserer Arbeit, wir ziehen daraus Befriedigung und Lust, wir arbeiten gern mit anderen zusammen. Das Arbeitsleben formt einen wesentlichen Teil unserer Identität. Und wir teilen es mit den meisten anderen Bürgern. Wer die Arbeit verachtet, verachtet auch die arbeitenden Menschen.

Ein neues Verständnis von Arbeit ist nötig

Keine Frage: Arbeit kann unangenehm, sinnlos, entfremdet, ja entwürdigend sein. Aber es gibt auch entfremdete und entwürdigende Arten, seine "Freizeit" zu verbringen. Sicher: Der Job kann unglücklich machen. Aber unglücklich kann man auch aus ganz anderen Gründen sein. Und am unglücklichsten sind meist jene, die überhaupt keine Arbeit haben.

Was wir brauchen, das ist ein neues Verständnis von Arbeit, das frei ist von ideologischen Vorurteilen. Ich argumentiere für eine "Arbeitsbewegung", die nicht auf einem dubiosen Klasseninteresse gründet, sondern auf dem Anspruch auf gute Arbeit. Schlechte Arbeit sollten wir nicht akzeptieren, weder als Individuen noch als Gesellschaft. Gegen schlechte Arbeit müssen wir aufbegehren.

Wir brauchen keine Heerscharen von Motivationstrainern und Coachs, die ihr Geld damit verdienen, schlechte Arbeit erträglich zu machen – zum Beispiel mit besserer "Work-Life-Balance". Was wir brauchen, das ist sinnvolle, gute Arbeit, die uns weiterbringt im Leben. Wir sollten die Arbeit nicht kaputtreden, sondern sie verändern. Das ist die eigentliche, zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Da sind Politik und Wirtschaft gefragt. Und es ist eine Herausforderung für jeden Einzelnen von uns.

Wenn wir Selbstbestimmung wollen, müssen wir auch bereit sein, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die wahre Revolution geht von Menschen aus, die selbstbestimmt genug sind, ihr Recht auf sinnvolle, erfüllende Arbeit einzufordern – und die bereit sind, ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten. Machen wir uns also an die Arbeit.

Thomas Vašek, geboren 1968 in Wien, ist Chefredakteur des neuen philosophischen Magazins "Hohe Luft" und Buchautor. Thomas Vašek lebt in München.



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