Forums-Blog - Unser Gehirn belügt uns
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  • 19.05.2014 19:53 - Unser Gehirn belügt uns
von andreas.eick in Kategorie Allgemein.

Angeborener Optimismus

Der Mensch kann nicht anders, als in seiner Zukunft vor allem Gutes zu sehen – denn die Zuversicht ist in den Hirnwindungen verankert.

Tali Sharot wusste genau, was sie wollte. Als die Israelin zur Jahrtausendwende an die New York University ging, war ihr Plan, Gedächtnisforscherin zu werden. Schon ein Jahr später bot sich die perfekte Möglichkeit zu verstehen, wie das Gehirn Erinnerungen schafft.

Nach dem 11. September 2011 holte sich Sharot zusammen mit ihrem Team Zeugen des Anschlags in ihr Labor und befragte sie zu ihren Erinnerungen an diesen Tag. Der Anschlag war medial so gut dokumentiert worden, dass sich fast alle Angaben überprüfen ließen. Die Forscher wussten, dass das menschliche Gedächtnis Fehler macht. Nur in welchem Ausmaß, das wussten sie nicht. Während die Zeugen glaubten, ihre Erinnerungen seien akkurat wie eine Videoaufnahme, zeigte der Abgleich: Nur etwa 63 Prozent ihrer Angaben stimmten tatsächlich.

Fast die Hälfte aller Erinnerungen sollen falsch gewesen sein? Die Forscher grübelten darüber, woher diese große Anzahl von Fehlern kommen könnte. Dann hatten sie eine Idee: Was, wenn das Gedächtnis gar nicht vorrangig dazu da ist, die Vergangenheit aufzubewahren, sondern dazu, die Zukunft vorzubereiten? Dass das tatsächlich sein konnte, ließen Studien an Menschen vermuten, deren Hippocampus, die Gedächtniszentrale des Gehirns, nicht richtig funktioniert. Diese Menschen haben außer ihren Gedächtnisproblemen noch ein weiteres Handicap: Sie können keine Prognosen für die Zukunft abgeben.

Alles wird gut - die "optimism bias"

Und so kam es, dass Tali Sharot doch nicht zur Expertin für Gedächtnisfragen wurde – sondern sich seitdem mit Vorhersagen beschäftigt. Und die, sagt sie, seien mindestens genauso verzerrt wie Erinnerungen. Denn Menschen haben, wenn es um die Vorhersage ihrer Zukunft geht, eine rosarote Brille auf. Sie überschätzen maßlos ihre Chancen und Erfolge, ihre Talente und Fähigkeiten, ihre spätere Jobposition und das Gehalt, die Dauer ihrer Ehe und die ihres Lebens.

Gleichzeitig unterschätzen sie massiv ihre Risiken. Arbeitslosigkeit oder eine Firmenpleite, Autounfälle und Krebserkrankungen – all das kommt in Zukunftsfantasien nur ausgesprochen selten vor. Die optimistische Verzerrung ist sozusagen omnipräsent. Und: Sie ist ausgesprochen veränderungsresistent. Sie besteht auch wider besseres Wissen und entgegen allen Erfahrungen. Sharot hat das Phänomen in der ersten Veröffentlichung zusammen mit Elisabeth Phelps und zwei anderen Kollegen im Jahr 2007 "optimism bias" getauft, optimistische Verzerrung. "Kurz gesagt bedeutet es, dass wir, wenn es um unsere eigene Zukunft geht, unverbesserliche Optimisten sind", sagt sie. "Und wir haben noch dazu keine Ahnung, dass wir es sind."

Sharots erste Publikation trat zahlreiche Studien los, die die Verzerrungstendenz in allen Bereichen des Lebens bestätigten. Schon Kleinkinder überschätzen demnach alles, was zukünftig Freude machen könnte, und auch noch 60-Jährige blicken überaus optimistisch in die Zukunft. Je älter die Menschen werden, desto stärker wird die Verzerrung bei ihnen sogar, wie etwa die britische Neurowissenschaftlerin Rumana Chowdhury zeigen konnte.

Ist der Optimismus angeboren?

Wahrscheinlich, sagt Sharot, sei die optimistische Verzerrung angeboren. Dafür spricht, dass man sie in allen Kulturen der Welt finden kann. In ihrem Labor, inzwischen am Affective Brain Lab am University College of London, hatte sie anfangs ihre Probanden einfach gebeten, sich recht banale zukünftige Ereignisse vorzustellen, eine Reise mit dem Flugzeug etwa. "Eigentlich keine sonderlich spannende Sache – aber in der Beschreibung der Leute klang es, als hätte da ein Filmproduzent seine Finger im Spiel gehabt", sagt Sharot. "Da kamen traumhafte Aussichten vor, gemütliche Nickerchen und ein Gläschen Wein. Aber von Flugverzögerungen, verstopften Bordtoiletten oder schreienden Babys war nicht die Rede."

Zwang die Forscherin die Teilnehmer, auch Negatives zu berücksichtigen, taten sie dies zwar. Doch die Schilderungen fielen ungleich unkonkreter und distanzierter aus. Einige ihrer Probanden schob Sharot in den Kernspintomografen. Es zeigte sich, dass der Mandelkern, der tief im Gehirn für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist, bei der optimistischen Verzerrung eng mit einem Teil des Frontallappens hinter der Stirn zusammenarbeitet. Dieser Teil, ACC genannt, fügt alle positiven Informationen im Gehirn zusammen, und baut aus ihnen eine Zukunft, die verführerisch und lohnend aussieht. Solange der Austausch zwischen dem Mandelkern und dem ACC gut funktioniert, ist unser Gehirn auf Optimismus gepolt. Bei gut 80 Prozent aller Menschen, sagt die Forscherin, sei das so. 20 Prozent aber färbten die Zukunft nicht schön. "Die meisten von ihnen sind entweder leicht depressiv, dann werden sie zu Realisten, oder depressiv im klinischen Sinne, dann werden sie zu Pessimisten." Ob der optimism bias zurückkehrt, wenn eine Depression überstanden ist, das untersucht sie derzeit mit Kollegen der Harvard Medical School.

Das minimale Scheidungsrisiko der Frischverheirateten

Bei den meisten aber funktioniert die optimistische Verzerrung so zuverlässig und intuitiv, dass sie selbst nichts davon mitbekommen. Nur wenige, die sich für absolute Realisten oder Pessimisten halten, sind es also tatsächlich. Das zeigt sich, wenn man Menschen nach ihren persönlichen Prognosen fragt – und sie dann mit der Statistik dazu konfrontiert. Denn natürlich kennt man die objektiven Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse nicht immer. Fragt Sharot etwa Frischverheiratete, wie hoch ihr Scheidungsrisiko sei, bekommt sie selten mehr als einstellige Prozentzahlen als Antwort. Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit mittlerweile bei fast 40 Prozent.

Passen Menschen denn ihre Vorhersagen an, wenn man ihnen die Statistik zeigt? "Sie tun es", sagt Tali Sharot. "Aber sie tun es vor allem dann, wenn sich sich zum Positiven korrigieren können." Wer also auf ein 50-prozentiges Krebsrisiko für sich selbst getippt hatte, reduziert hinterher seine Schätzung deutlich. Wer aber von nur zehn Prozent Risiko ausging, der freundet sich mit der Statistik nicht an. "Die sagen dann: Na ja, gut, trotzdem ist mein Risiko nicht so hoch, vielleicht zwölf Prozent." Die negativen Informationen würden zwar gespeichert – aber die Probanden beziehen sie einfach nicht auf sich. Ein Blick in das Gehirn zeigte, warum das so ist.

Die sogenannten unteren Stirnhirnwindungen auf der linken Gehirnseite wird bei jeder Information, die ins Positive ging, aktiv: Die Information wird sofort als "wichtig" integriert. Die unteren Stirnhirnwindungen auf der rechten Seite hingegen, die negative Informationen hätte integrieren sollen, arbeiten nicht sonderlich gut – und zwar bei niemandem. Wie Christoph Korn im Jahr 2011, damals an der FU Berlin, inzwischen an der Uni in Zürich, zeigen konnte, lernen Menschen zwar im Laufe des Lebens, negative Informationen zunehmend zu berücksichtigen, aber es bleibt eine Anstrengung.

Krebs? Bekommen nur andere

Die optimistische Verzerrung ist also direkt in die Architektur des Gehirns eingebaut. Krebs? Bekommen nur andere. Autounfall? Kann mir nicht passieren. Scheidung? Wir doch nicht! "Der optimism bias ist völlig irrational – aber sinnvoll", sagt Sharot. Er vereinfacht die mentale Bewältigung der Zukunft. Man unterschätzt sein Krebsrisiko und lebt so bis zur möglichen Diagnose sorgenfrei. Ereilt einen die Krankheit doch, überschätzt man seine Heilungschancen, was diese wiederum nachweislich verbessert. Der Optimismus verbessert also in gewissen Grenzen auch die Realität. Vor allem aber macht bereits eine positive Aussicht glücklich und gibt das gute Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben.

Nur: Ganz ohne Nachteile ist der optism bias auch nicht. Denn er kann leichtsinnig machen. Wer Krebs bei sich für unmöglich hält, wird wenig vorsorgen, wer auf den großen Gehaltsscheck vertraut, wird wenig sparen. Auch Menschen mit großer Verantwortung, wie Politiker, Ärzte oder Piloten, überschätzen sich durch die optimistische Verzerrung leicht und können andere damit in Gefahr bringen. Optimismus lohne sich trotzdem, sagt Tali Sharot.

Aber nur dann, wenn etwas in der Realität verankert ist. Also auf die Gehaltserhöhung hoffen, aber trotzdem immer schön ein paar Euro zurücklegen. Und wie schätzt Tali Sharot ihre persönlichen Risiken ein? "Na ja", sagt sie, "ich formuliere es mal diplomatisch: Das Wissen tötet die Illusion nicht." Sie fahre immer noch ohne Helm Fahrrad. "Aber immerhin mache ich mir ein bisschen mehr Sorgen darüber als früher."



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